Von der Rückkehr in den Alltag
Vortrag von Klauß Stüwe vom 6. August 2011

 

 

Heute Morgen ist also die letzte Gelegenheit, dass ich euch mit meinen Weisheiten belästige. Morgen ist zwar noch eine Predigt im öffentlichen Gottesdienst, aber da sind ja auch noch andere Menschen dabei. Also: das letzte Mal heute, und notwendiger Weise muss der Blick wieder nach draußen gehen.

Spätestens morgen Nachmittag seid ihr wieder da, wo ihr hergekommen seid. Vielleicht nicht ganz die selben, die gleichen als die, die ihr am Montag hierher gekommen seid. Schließlich haben wir miteinander versucht, eine Woche lang ernsthaft den Weg des kontemplativen Gebets zu gehen. Und es stellt sich jetzt die Frage: Was bleibt davon, wenn ich jetzt dann wieder da hin gehe, wo ich hergekommen bin und wo ich ja auch, bitteschön, hingehöre? Denn diese Woche, so interessant und so eindrucksvoll oder wie immer sie gewesen sein mag, ist natürlich so etwas wie ein Ferienaufenthalt gewesen oder ein paar Tage auf der Insel. Und jetzt geht es wieder hinein in den Alltag, in die Normalität eurer Abläufe. Und dann: Was bleibt von der Übung?

Was in dieser Situation an Äußerlichem immer wieder empfohlen wird und was ich auch gerne heute wiederhole, ist als erstes die Ermunterung an euch, es möge von den vielen Sitzungen am Tag wenigstens eine übrigbleiben. Eine, die ihr an den Beginn eures Tageslaufs stellen könnt. Die Erfahrung zeigt, dass das am ehesten eine Position im Tagesablauf ist, die man länger durchhält. Wenn man eine Position wählt nach dem Motto: Wenn ich Zeit hab setze ich mich. Das funktioniert vielleicht drei Tage, aber spätestens am vierten Tag ist wieder was anderes, und das muss noch sein, und der ruft an, und da habe ich noch eine Idee, und schon ist also der feste Platz weg.

Wenn es denn irgend geht, am Morgen, ungewaschen, ungeduscht, das spielt für’s Sitzen keine Rolle, die Schönheit kommt später. Das ist am ehesten ein Platz, wo man sagen kann: Da hat es dann auch seinen festen Rhythmus und es hat natürlich auch den großen Vorteil, dass ich meinen Tag mit so einer Einkehr beginne. Mit so einem: Jetzt bin ich da, jetzt sitze ich und komm ganz zu mir ungestört, diese 20 Minuten lang. Und dann gehe ich erst hinaus in die Welt, in die Arbeit, in was immer mich dann erwartet.

Das Zweite, das normalerweise auch empfohlen und nahegelegt wird, und was ja auch die Erfahrung von Übenden ist, und weshalb wir ja auch immer wieder die Kurse anbieten: Wenn ich mich ganz allein auf den Weg mache, dann verbraucht sich die Kraft viel schneller als man denkt. Es ist ein grosser Unterschied, ob man allein sitzt oder in der Gruppe. In der Gruppe da schützt man sich gegenseitig, man stärkt sich gegenseitig. Es ist eine ganz andere Erfahrung, eine ganz andere Situation, als wenn ich zuhause, in meiner normalen Umgebung diesen Platz suche, der Übung ihren Raum gebe. Wenn ich dann die Möglichkeit habe, einmal in er Woche oder mindestens alle 14 Tage, irgend wo hinzugehen, wo noch zwei, drei, vier, fünf, zehn andere sind, die dann mit mir einen Abend übend verbringen, dann glaube ich, ist das eine gute Stärkung, die einfach den Bogen immer wieder spannen lässt, so dass ich dann auch mit meiner Übung allein besser zurechtkomme, länger durchhalte.

Und dass natürlich dann auch als drittes die Einladung da ist, regelmäßig – wenigstens einmal im Jahr – zu einem Kurs zu kommen. Ihr habt auch in dieser Woche wieder gemerkt. Wenn man wirklich den ganzen Tag und die ganze Woche nichts anderes macht, hat die Übung eine ganz andere Intensität. Das ist nur der äußere Rahmen, der empfohlen wird und den ihr euch in irgendeiner Form zurechtmacht.

Es bleibt die andere, wichtigere Frage: Und wie geht dann die "Innere Übung". Es geht erst einmal einfach um Übung. Denn, wenn ich auf dem Weg dieser Übung vorankommen will, muss ich üben. Und wie jede Übung, ganz gleich was ich übe, braucht sie die Wiederholung, braucht das ständige "Mich-wieder-Erinnern". Also, wenn ich Klavierspielen lernen will oder wenn ich Italienisch lernen will, wenn ich es nur einmal im Jahr mache, ist das keine Übung, sondern dann ist das immer mal eine Erinnerung, aber es hat mit Übung nichts zu tun. Also dieses Regelmäßige, diese Wiederholung, dieser Versuch, dass es eben in mir anwächst, dass es einen geschützten Raum auch innerlich bekommt, das ist ein ganz elementarer Punkt.

Der Charakter der Übung, der will im Auge behalten sein. Aber, bitte, die Umstände sind so oder so. Es geht oder es geht nicht. Bleibt natürlich trotzdem die Frage: Was bringt es denn? Was bringt es für mein Leben, was bringt es für mein Leben in der Welt? Ich meine all das, bleibt wichtig, was wir im Laufe dieser Woche versucht haben: Die Aufforderung zu einer immer wieder erneuerten Wahrnehmung zu kommen. Nicht nur meine Gedanken, nicht nur meine Kategorien, sondern all meine Sinne, wollen einbezogen sein. Das bleibt als Einladung deutlich bestehen.Und das andere mit der Achtsamkeit genauso. Und das mit meiner aller innersten Grundlage ist natürlich auch ganz, ganz wichtig. Und wenn ich das alles in mir lebendig halten kann, durch die Übung, dann werden die zentralen Punkte deutlich.

Es geht um die Frage der Ruhe. Kann ich immer wieder Situationen suchen, die es mir ermöglichen, aus der Ruhe heraus aktiv zu werden? Und da ist das Sitzen in der Stille nicht die einzige Möglichkeit, sondern ich habe in meinem normalen Leben immer wieder Situationen und Möglichkeiten, wo ich sie finden kann – z.B. ich fahre ein paar Stationen mit der U-Bahn. Das kann durchaus eine Situation sein, die ich dazu nütze, in die innere Ruhe zu kommen, aus dem, was da vorher war wie ich eingestiegen bin, zu dem, wo ich wieder aussteige, sind vielleicht 10 Minuten, die ich nützen kann und sie nicht dafür veschwende, mich über irgend jemanden zu ärgern, der mit seinem Handy telefoniert, oder den nächsten, der seine Kopfhörer laut aufgedreht hat, sondern, wo ich dasitze und atme und ganz bei mir bin und weiß: Jetzt muss ich nicht aufpassen, der U-Bahnfahrer weiß schon wohin es geht. Ich überlasse mich und nütze diese Situation.

Und solche ganz alltäglichen Situationen, die mir dann immer wieder einen Rückzug ermöglichen, eine Erinnerung, ein ganz kleines Stück Übung, die gibt es immer wieder. Die Ruhe ist schon mal ganz viel. Denn das ist ja wahr, dass die Kraft in der Ruhe liegt.

Der zweite Punkt, der auch nicht abhängig ist von dem, ob ich in der Altenburg bin oder nicht, ist der, dass ich durch die Ruhe hindurch in Situationen der Stille hineingehe. In jedem Leben wo immer es stattfindet, wie immer es im einzelnen strukturiert ist, gibt es ganz bestimmt Möglichkeiten, Inseln der Stille, zu suchen und zu finden. Beim Spaziergang, beim Ausflug, in einer Situation, wo ich einfach zuhause mal eine ruhige Tätigkeit ausübe, die mich nach innen in die Stille führen kann. Da sind ja eurer Fantasie gar keine Grenzen gesetzt. Und wenn wir das immer weiter nach innen fortsetzen, dann wird uns ja deutlich, dass die Stille das Eingangstor zum innern Frieden ist. Wo wirkliche Stille ist, ist auch innerer Friede. Nicht immer, aber immer mal wieder.

Und es ist ein großer Unterschied, ob ich das, was ich mache, meine Beziehungen, meine Arbeit, den Umgang mit meinen Kindern, den Umgang mit meinen Mitmenschen aus der Ruhe, der Stille, dem inneren Frieden mache, oder aus der Zerstreuung, aus dem Hin-und-her, aus dem Getriebensein. Es ist ein ganz anderer Kraftfluss, der sich da ereignet. Und wenn ich dann noch eine Stufe tiefer gehe, dann ist es wahrscheinlich, dass ich auf dem Weg der inneren Übung, des kontemplativen Gebets, auf die – ich sag es jetzt mal so – allumfassende Liebe stoße, die mir gilt, die mich trägt, und die hinauszutragen und tragfähig werden zu lassen in meinem Alltag meine Möglichkeit, meine notwendige Aufgabe ist. Nicht im Sinne, dass da irgend jemand mir irgend etwas vorschreiben würde, sondern im Sinne von "Ich kann garnicht anders".

Denn wenn die Erfahrung meiner selbst, meiner Existenz ein Wissen um die Liebe ist, dann habe ich die Kraft und dann sehe ich die Notwendigkeit, hinauszugehen, zu tun, was meins ist. Der Meister Eckart, die Theresa, viele andere christliche Mystiker gehen davon aus, dass sie sagen: Der Weg der inneren Übung führt notwendiger Weise in die praktische Liebe, führt in die Warmherzigkeit, in die Barmherzigkeit. Nicht im Sinne von: Ich neige mich jemandem zu, weil das meine Verdienste erhöht, sondern weil ich gar nicht anders kann. Und deshalb ist  die Dynamik der Kontemplation im Alltag nicht: Ich mache mir ein neues Programm oder ich verkündige irgendwas, sondern: Ich gehe als eine Veränderte hinaus in die Welt.

Und ich erfahre diese Welt nicht als feindlich, nicht als getrennt von mir. Die Veränderung vollzieht sich, weil die Veränderung, die in mir geschieht, nicht in mir verschlossen bleibt, sondern sich auswirkt. Das geht meist nur in einem ganz kleinen Kreis, aber wer weiß, es schlägt doch Wellen, und ich habe die Möglichkeit, es zu praktizieren, wenn andere es auch wahrnehmen. Aber das ist nicht die entscheidende Frage. Es geht nicht um Erfolg. Es geht nicht darum, dass ich dann irgendwie messen könnte, was dann in der Welt sich verändert hat, sondern dass ich von der Veränderung, die in mir vorgeht, notwendiger Weise und laufend, die Welt um mich herum teilhaben lasse.

Und trotzdem: Richtig bleibt, was der Angelus Silesius sagt von der Rose:

Die Ros' ist ohn' Warum, sie blühet, weil sie blüht... fragt nicht, ob man sie sieht.

Also, in diesem Sinne: Geht hinaus, erhobenen Hauptes, warmen Herzens und seht zu, was sich ergibt auf diesem Weg Schritt für Schritt und, wenn es nötig ist, kommt halt mal wieder zurück. Und dann schauen wir wieder.

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