Von der Wahrnehmung
Vortrag von Klauß Stüwe vom 2. August 2011

 

 

Aus dem Thomas Evangelium:
Christus spricht: Hacke Holz und ich bin da, hebe einen Stein auf und du findest mich dort.

Wahrnehmung was ist das und was hat es zu bedeuten auf dem Weg des kontemplativen Gebets? Wir sprechen beim kontemplativen Gebet gern von einer sogenannten "Spirituellen Übung". Und die spirituelle Übung findet dann meistens als praktische Konsequenz gerne im Kopf statt. Also ich versuche, mit meinem Geist, mit meinen Gedanken etwas zu erreichen oder etwas zu üben und etwas zu tun. Aber das ist eine Einschränkung oder eine Einengung, wenn nicht gar ein Irrweg.

Denn das kontemplative Gebet nimmt für sich in Anspruch, und will ein Weg sein, den ich gehe; heißt es ja auch so: "Der innere Weg". Und diesen Weg kann ich nur gehen, mit all meinen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Das bedeutet: Ich denke nicht nur nicht – so gut es jedenfalls geht – sondern ich versuche auf diesem Weg wach zu sein – auch das natürlich wieder, so gut es geht. Aber Wachsein heißt mit all meinen Sinnen da sein und meine Sinne schauen, hören, riechen, schmecken, fühlen und dazu zu benützen, dass ich wahrnehme was ist. Und dann, wenn ich auf diese vielfältige Weise offen bin, dann werde ich schauen, werde ich sehen was meine Augen erfassen können.

Wir müssen uns ja auch darüber im Klaren sein, dass unsere Augen nur einen ganz bestimmten Ausschnitt aus der Wirklichkeit wahrnehmen, weil es ja menschliche Augen sind und diese Augen sind in einer bestimmten Weise konstruiert, so dass unsere Augen auf menschliche Weise sehen. Das Auge des Adlers sieht etwas anderes, das Auge des Frosches wieder etwas anderes, das Auge der Fliege wieder etwas anderes. Sie nehmen alle auf ihre Weise und im Rahmen ihrer biologischen und evolutionsbedingten Möglichkeiten wahr, was sie wahrnehmen können. Die Augen, die Ohren, die Haut spürt, der Mund nimmt wahr beim Essen, beim Atmen. Wir haben viel mehr Möglichkeiten, uns der Welt und der Wirklichkeit gegenüber zu öffnen als uns das oft bewusst ist. Sehr oft begegnen wir der Welt nur denkend. Wir denken über die Welt nach. Wir sehen irgendetwas und machen uns Gedanken darüber: Das ist das und das steht mit dem in der und der Beziehung, und das gefällt mir und das gefällt mir nicht oder wie immer. Das heißt, diese Form von denkend und urteilend und einteilend und kategorisierend mit der Wirklichkeit umzugehen,ist eine noch mal verminderte und sehr stark eingeschränkte Wahrnehmung.

Die Wahrnehmung, zu der dieses kontemplative Gebet, der Weg der inneren Übung einlädt, ist Wahrnehmung mit allen Sinnen. Was ich damit meine: Wenn ich z.B. in diesem Moment etwas höre: Draußen mäht jemand den Rasen. Das ist ein Geräusch, das ich wahrnehme, ein Motorengeräusch. Aber ich lasse es nicht dabei, sondern ich ärgere mich darüber. Ich sage: Wieso mäht er jetzt Gras, ja jetzt, wo wir doch hier die Stille brauchen. Das ist keine Wahrnehmung mehr,sondern da wird die Wahrnehmung überdeckt von einer Beurteilung.

Und so machenwir es ja mit ganz vielen Dingen. Schon wenn ich z.B. einen Vogel singen höre, dann überlege ich: war das jetzt eine Amsel, oder war es jetzt eine Grasmücke, oder wer war es? Das heißt, ich nehme gar nicht die Töne und den Gesang des Vogels wirklich wahr, sondern der Gesang des Vogels gibt mir einen Anlass, meine biologischen Kenntnisse zu überprüfen und meine Weltsicht in Ordnung zu halten, indem ich dann weiß: Aha, genau der Vogel singt so und der Vogel singt anders. Wenn ich jetzt die Töne des Vogels einfach nur hören würde und nicht darüber nachdenke, wie er heißt, wo er sitzt, – sondern die Töne einfach in mich sinken ließe, dann könnten sie in miretwas ganz anderes auslösen, als nur einen Gedanken.

Das ist ja auch der Grund, warum wiruns immer wieder in die Stille, ins Schweigen begeben. Es geht ja nicht darum, dass wir nicht mehr reden dürfen, und es geht natürlich auch nicht darum, dass wir dann in aller Ruhe nachdenken können. Das macht man natürlich, aber das ist nicht unbedingt die Einladung weshalb wir in die Stille gehen. Sondern wir gehen in die Stille, damit all diese unterschiedlichen Begegnungs und Wahrnehmungsmöglichkeiten der Welt, des Ganzen wirksam werden können. Sicher, wir sind in dem Ganzen ein besondererTeil. Aber dieser Teil hat viel mehr Verbindung und viel mehr Verknüpfungen mit dieser Welt, als die Möglichkeit zu denken, und sich aufzuschwingen zu Beurteilung und Einteilung, was dann zu der Einbildung führt, wir würden wissen, wie die Dinge zu sein haben. Wir bilden uns das ein, aber im Grunde genommen wissen wir es natürlich nicht; denn wie die Wirklichkeit wirklich ist, in ihrer ganzen Unüberschaubarkeit, in ihrer ganzen Komplexität,wissen wir sicher nicht.

Und so geht es immer wieder darum – und das ist ja auch die Botschaft des Textes von Tauler, das eine ernst zu nehmen: Ich weiß, dass ich nichts weiß; und weil ich nichts weiß, und weil ich ja vielleicht auch mal zwischendrin für ein paar Tage gar nichts wissen will, verlege ich den Schwerpunkt meines Kontaktes nach innen und nach außen: Vom Denken, vom Nachsinnieren, vom Ordnen, vom immer wieder die selben Dinge quasi in der selben Weise drehen, auf dieses: Ich bin da, ich bin wach, ich höre, spüre, ich schmecke und es ist wie es ist, was an mich herankommt, was ich wahrzunehmen in der Lage bin, das lass ich einfach stehen. Es ist da, ich nehme es wahrund damit ist es gut.

Und dann kommt der nächste Atemzug und der nächsteAugenblick. Ich bin überzeugt, das Wort aus dem Thomas-Evangelium will im Grunde genommen auch nichts anderes sagen: Wenn du Holz spaltest, das steht für jede Tätigkeit, die wir in unserem Leben vollziehen – Kartoffeln schälen, Abspülen, was immer – und du tust es ganz, ganz und gar, dann bist du Holz, dann bist du Spalten, dann bist du in diesem Vollzug und dann bist du – um es jetzt ganz extrem auszudrücken – in der Gegenwart Gottes. Oder wenn du einen Stein aufhebst, nicht um etwas zu suchen, sondern du hebst den Stein auf aus irgendeinem Grund, weil er woanders hingehört, weil du eine Mauer baust, weil du in deinem Garten arbeitest, und tust es wirklich ganz, dann gibt es darüber hinaus nichts mehr. Das ist dann alles.

Tauler:

Der Mensch lasse die Bilder der Dinge ganz und gar fahren,
und mache und halte seinen Tempel leer.
Denn wäre der Tempel entleert und wären Bilder draussen,
dann hättest du Frieden und Freude
und es quälte dich nichts mehr von dem,
was dich jetzt ständig quält und dich umtreibt
und nicht anders, was du auch tust.

In diesem Sinne: Wahrnehmung als ein Mich-Öffnen ganz weit mit all dem, was ich habe, was ich bin, was ich kann, und den Schwerpunkt Denken, Sinnieren, immer wieder dieselben Runden drehen, verschieben in diese Richtung. Das ist eine der zentralen Einladungen auf dem Weg der inneren Übung.
Wir können nur immer wieder geduldig damit beginnen.

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