Die Frage nach dem Ich
Vortrag von Klauß Stüwe vom 3. August 2012
Auf dem Weg der inneren Übung, der Kontemplation, Weg des stillen Sitzens taucht immer wieder die Frage auf: worum geht es dann wirklich und was ist der entscheidende Punkt oder gibt es so was wie einen entscheidenden Punkt, auf den die Sache zusteuert. Und da ist die Antwort erst einmal immer wieder: ja, es gibt so einen Punkt oder es gibt eine Perspektive und die verdichtet sich in dem Wort „Ich“. Wer bin ich, was bin ich auf diesem Weg? Was bin ich denn überhaupt, wer bin ich überhaupt? Und wenn ich das erkannt habe, was passiert dann? Oder was kann ich überhaupt erkennen und was will und soll und kann auf dem Weg dann mit diesem Ich und mit mir geschehen? Denn es ist ja so, dass wir erst mal davon ausgehen: ich kenne mich. Ich lebe ja schon relativ lange mit mir – oder nicht so lange. Aber auch wenn ich mich noch nicht so lange kenne, meine ich mich zu kennen, meine Schwächen, meine Stärken, meine Herkunft, meine Wünsche, was mir eben so an Wahrnehmbarem, Erkennbarem, natürlich Erlittenem und Erhofftem zugänglich ist. Und daraus setzt sich dann das zusammen, was ich als mein Ich bezeichnen würde, und sagen: ja, das bin ich, so bin ich. Was anderes braucht es auch gar nicht. Nun sagt die Weisheit des Westens und des Ostens: diese Erkenntnis ist zwar sicher notwendig und gut und richtig, aber sie ist nicht die angemessene Antwort auf die Frage: "Wer bin ich wirklich?’" Natürlich bin ich die und der, der erkennbar und nachvollziehbar oder von der Erfahrung her sich so und so sieht und beschreibt. Aber die Weisheit des Ostens und des Westens sagt: Dies Definition ist viel zu kurz geschossen. Du bist vielwirklicher Tropfen im Regen, Sandkorn am Strand, Blatt am Baum. Du bist – um es zugespitzt in der christlichen Tradition zu sagen: du bist Tochter, du bist Sohn Gottes. Du bist Form des großen Lebens, oder Form der Schöpfung. Und nur wenn du dich als das erkennst, mit all dem, was da an Individuellem dazu kommt. Nur wenn du das erkennst, wenn du das für wahr nimmst, erfährst, weißt, bist du in der Übung auf dem richtigen Weg. Das klingt jetzt wie eine Forderung oder wie eine neue Dogmatik. Ich sehe es aber nicht so, sondern ich sehe es mit vielen anderen so, dass das ein Weg ist,eine Möglichkeit zu sein, ein Weg der Erfahrung, ein Weg der überprüfbaren Entwicklung dessen, wie ich mich sehe, was ich zu sein scheine und was ich wirklich bin. Das ist ein Prozess, in dem ich mich befinde oder in den ich mich begebe, und in dem ich dann voranschreite oder mich im Kreis drehe oder stagniere. Und dann kann sich plötzlich eine ganz neue Erkenntnis auftun. Oder ich taste mich schleichend über die Jahre und Jahrzehnte an diese Erkenntnis, die sie sich mir dann als Erfahrung zeigt. Sie öffnet sich mir, und mir wird ganz klar, was ich kann und wer ich bin. Das kann sehr mühsam sein – und deswegen wird immer wieder vom Weg der Übung, Weg des Sitzens, Weg der ständigen Wiederholung gesprochen. Und so bleibt es eine Anforderung an mich selbst, aufzubrechen, im wahrsten Sinne des Wortes: aufbrechen nämlich aus dieser engen Ich-Definition, in die wir uns ganz normal und gesellschaftlich total akzeptiert hinein begeben haben. Wir sind es gewöhnt und wir beharren darauf, dass nur diese enge Definition dessen: - das bin ich - Wirklichkeit ist und alles andere ist in unserer praktischen Tradition Hirngespinst oder esoterisches Gewäsch, aber nicht wirklich Wirklichkeit. Und darum geht es aber, dass ich viel dazu tun kann durch Aufbrechen, durch Ausbrechen aus dieser engen Definition, durch Lösung aus meiner Ich-Bezogenheit, durch Erkennen dieses engen Gefängnisses, in dem ich mich da befinde, in diese Weite hinein gehen, hinein fallen, hinein stürzen, mich hinein schleichen kann. Nur weil das möglich ist, macht es überhaupt Sinn, sich in diesen Strom der Übung hineinzubegeben und da drin zu bleiben, auch dann, wenn Trockenheiten, Wüstenzeiten, Schwierigkeiten sich häufen oder so die Idee "ich komm überhaupt nicht vorwärts und es ist immer alles immer wieder gleich" – das ist wohl in der Wirklichkeit auch nicht ganz richtig. Und deswegen die Einladung dabei zu bleiben; so wie es der Johannes Tauler sagt: das geht nicht in kurzer Zeit, ich muss dabei aushalten, ich bin eingeladen und aufgefordert, Geduld zu haben, einen langen Atem zu haben, immer wieder hinzuspüren, hinzuschauen, hinzuklopfen an dieses enge Gefängnis und darauf zu vertrauen, dass sich dann doch einen Ausweg findet. Etwa so wie in dem Bild im Neuen Testament vom Kamel und dem Nadelöhr, dass das "Ich-Kamel" dann irgendwann so klein wird, dass es doch durchs Nadelöhr durchpasst und wenn es dann durchs Nadelöhr hindurch gegangen ist, sich im Reich Gottes wiederfindet. Das will nichts anderes heißen, als in dieser Erkenntnisdes Einen, des Großen, des Ganzen oder der Gegenwart Gottes, wie immer ihr das bezeichnen wollt. Es ist eine Lebensaufgabe und eine Lebenschance und sie setzt sich zusammen aus Schritt, Schritt, Schritt, Atemzug für Atemzug , Augenblick für Augenblick. Jetzt und hier.
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