Was verstehe ich unter Kontemplation
und warum Schweigen
Vortrag von Klauß Stüwe vom 2. August 2012
Schon aus der Fragestellung ist leicht herauszuhören: Kontemplation ist ein vielfältiger, schillernder Begriff und jede und jeder Lehrerin und Lehrer, die/der unterwegs ist, versteht ein bisschen was anderes darunter. Ich möchte heute auch keine ganz große Erklärung abgeben, sondern nur ein paar Sätze dazu sagen und dann im Anschluss an ein Zitat von Sören Kierkegaard noch ein paar Sätze zum Thema Schweigen. Kontemplation leitet sich ab vom lateinischen Wort contemplari. Dieses Wort beschreibt eine antike priesterliche Praxis, in der Priester um den Tempel herum gegangen sind in einer rituellen Form, um herauszufinden, was die Stunde geschlagen hat – um es mit einem deutschen Ausdruck zu sagen. Nicht wie spät es ist, sondern was an der Zeit ist, was jetzt dran ist, welche Entscheidungen notwendig sind, welche Wege richtig sind, was für den Einzelnen, was für Gruppen, was für Völker im Augenblick zu entscheiden ist. Das kann ich auch anders sagen: sie haben in dieser Übung versucht, aus dem kronos herauszukommen (kronos auch griechisch). Kronos ist der Gott der Zeit. Das ist der, der den Fluss in Gang hält, bis dahin, dass er dann auch immer wieder seine eigenen Kinder frisst, das heißt: also dieser unendliche Strom des Auf und Ab, des Hin und Her, des nie Endenden immer weiter Ziehenden, immer weiter Reisende, das dann den Einzelnen mitnimmt und es ihm schwer macht, festzustellen wo und wie er sich befindet. Und dem Kronos
gegenüber gibt es eben den Kairos. Das ist der Moment oder der Blickwinkel, in dem der Kronos zum Stillstand
kommt und Klarheit einkehrt, weil es gelingt, die Qualität dieses Moments, die
Intensität des Augenblicks, den Moment wirklich klar und deutlich zu sehen und
dann zu wissen: ja, das ist jetzt nötig, möglich, nicht möglich, nicht nötig.
Also herausgehen aus dem Fluss des Kronos hinein in den Kairos: contemplari.
GerhardTersteegen, ein lutherischer Mystiker des Dass das auch heute und für uns Menschen des elektronischen, des IT-Zeitalters ein elementarer Perspektivwechsel ist, aus all dem vielen Zerstreuenden, wahnsinnig Beschleunigten hinein in dieses Jetzt, Hier Dasein, Klarsein das ist deutlich. Aber darum geht es im Letzten und um dem nahe zu kommen, um den Perspektivwechsel vollziehen zu können, und dann diese Klarheit zu gewinnen, haben seit langer, langer Zeit die Weisen des Westens und des Ostens empfohlen, ins Schweigen zu gehen, ins Sitzen in der Stille, ins Dasein. Und dazu seid ihr, sind wir – ich eingeschlossen auch wieder – eingeladen, die kommenden Tage und auszuprobieren, und zu schauen was geschieht wenn wir versuchen, diesen Wechsel zu vollziehen und uns damit und dafür des Schweigens zu bedienen. Dann kommt also jetzt das angekündigte Zitat von Kierkegaard, ein Philosoph, ein protestantischer Philosoph, ein Däne des 18. Jahrhunderts. Er sagt an einer Stelle: "Allmählich, wie er innerlicher und innerlicher wurde im Gebet, hatte er weniger und weniger zu sagen und zuletzt verstummte er ganz. Er ward stumm. Ja, was dem Reden vielleicht noch mehr entgegengesetzt ist als das Schweigen, er ward ein Hörender. Er hatte gemeint, Beten sei Reden; er lernte: Beten ist nicht bloß Schweigen, sondern ist Hören. Und so ist es denn auch: Beten heißt nicht sich selber reden hören, sondern heißt, dahin kommen, dass man schweigt und im Schweigen verharren und harren, bis der Betende Gott hört." Als Ergänzung will ich dazu sagen: hier ist von ihm/er die Rede, alle Frauen sind ganz genau so mit gemeint. Also: aus dem Reden aussteigen. Das heißt ja auch, aus der Kommunikation aussteigen, aus der Kommunikation mit anderen, aus dem Austausch, aus dem Gespräch auch aus der Nettigkeit, der Freundlichkeit, der Höflichkeit vorübergehend, außer vielleicht einem Blick, einem quasi optischen Kontakt, diese Form der Kommunikation vorübergehend einzustellen, Nicht zuletzt deshalb, weil wir uns selbst kennen und wissen, dies Form der Kommunikation, dieses Reden miteinander, ist oft nur ein Schwätzen miteinander oder ein über irgend etwas reden, damit die Zeit schneller vergeht oder damit wir uns selbst und anderen verundeutlichen, was eigentlich wirklich los ist. Was nicht heißt, dass es nicht auch andere Formen der Kommunikation gibt. Formen des Zuhörens, des Austauschs, des intensiven auch miteinander im Gespräch seins, das soll damit überhaupt nicht diskriminiert werden, sondern es ist eine Einladung erst einmal aus dem Dialogischen – was auch andere Menschen mit einbezieht – herauszugehen und bei mir zu bleiben. Wenn ich aber bei mir bleibe, dann passiert genau das, was Kierkegaard hier auch mit erwähnt: ich höre mich nämlich selbst reden. Das ist ein ganz normaler Vorgang und jede und jeder von uns weiß das, dass das so ist. Auch wenn man schon lange in der Übung ist, passiert das immer wieder. Ich stelle die Kommunikation mit meiner Umgebung ein und was stellt sich ein: die Kommunikation mit mir selbst. Ich höre meine Sorgen, meine Pläne, meine unerledigten Dinge, meine Phantasien, meine Hoffnungen, was sich immer da in mir gerade bewegt. Und ich bin auch überzeugt, dass es gar nicht möglich ist, diesen Strom so ohne weiteres einfach abzustellen und zu sagen: ich setze mich hin und dann ist das vorbei und dann bin ich ganz still – das funktioniert normalerweise nicht und es kann und will geübt sein und geht dann sicherlich besser, im Laufe der Zeit. Wobei eins ganz wichtig zu beachten ist: wenn diese inneren Stimmen sich melden – wie gesagt: was normalerweise passiert – dann gibt es natürlich mehrere Möglichkeiten. Und eine der Möglichkeiten, die wir dann oft ergreifen ist diese: jetzt habe ich 20 Minuten Zeit oder noch mehr und im Laufe des Tages viele 20 Minuten. Jetzt kann ich in aller Ruhe eine innere Dienstbesprechung abhalten und mir einen zweiten inneren, nach außen nicht hörbaren Gesprächspartner / Gesprächspartnerin zulegen und dann gibt es ein munteres Hin und Her in mir. Der eine sagt das, die andere sagt das, ja, aber, wenn, dann. Ich bin also nach außen ganz ruhig aber nach innen bin ich ganz intensiv in einem Dialog befangen, der nicht viel besser ist als der, den ich nach außen hörbar sprechen würde. Das ist die Einladung für die nächsten Tage: wenn dies geschieht, dieser Möglichkeit, dieser Versuchung so gut es geht zu widerstehen. Die Stimmen, die da sind unddie sich, wie gesagt, nicht automatisch abschneiden lassen – oder vielleichtmit Gewalt schon irgendwie – die Stimmen zuzulassen, aber es auch zuzulassen, dass sie wieder verstummen. Denn das ist auch eine Erfahrung: wenn ich diese inneren Stimmen, diese Anmerkungen, die da kommen, die Einreden, die in mir sind, wenn ich sie verklingen, verhallen lasse ohne Echo, dann sind sie auch viel schneller kraftlos und gehen viel schneller wieder weg, als wenn ich sie festhalte und mich mit ihnen dann wirklich befasse. Die Einladung steht, immer deutlicher in dieses Hören hineinzugehen, von dem Kierkegaard spricht. Hören auf das, was innerlich geschieht, aber hören immer mehr und immer intensiver ohne eigene Bewertung, ohne eigene Stellungnahme, ohne den Versuch, zu steuern, was da innerlich alles geschieht, sondern immer mehr hinein zugehen in dieses: ich höre, ich bin wach, ich bin da, ich bin bereit, all dem, was da kommt und geht, in einer gewissen Weise Raum zu geben aber mich doch nicht in einen inneren Kronos-Strom zu begeben, sondern immer wieder den Versuch zu unternehmen: Ich höre auf meinen Atem, ich achte auf mein Sitzen, ich spüre hinein in meinen körperlichen Zustand, nehme ihn auch wahr, versuche ihn so weit immer wieder zu korrigieren, dass ich möglichst ruhig und möglichst entspannt sitzen kann, und in dieses Horchen, in dieses mich Einlassen auf den gegenwärtigen Augenblick, mich hinein zu üben. Was immer das dann bringt, wie immer ich mich dabei fühle, was immer da an Wechsel und Hin und Her und Auf und Ab sich abspielen mag. Diejenigen, die es gewöhnt sind und geübt haben, mit einem Wort zu arbeiten, mögen das tun. Diejenigen, die vom Zen her vielleicht das gewöhnt sind, mit dem Zählen bis Zehn, mögen auch das tun. Das sind alles Hilfsmittel, um eben diesem wachen, offenen, ungerichteten Lauschen, Horchen, Spüren nachzugehen. Das ist – wie es Tauler auch sagt – nicht so ganz einfach, das kann einen durchaus einmal sauer ankommen, aber es kann auch leicht und lustvoll sein. Lasst uns losgehen und schauen, wohin wir kommen.
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